Reiten als Sport

Reiten als Sport

Ist Reiten eigentlich ein Sport?

Als begeisterte Reiterin und Pferdeliebhaberin muss ich mich oft mit geringschätzigen Kommentaren herumschlagen, wenn ich Nichtreitern von meiner Lieblingsbeschäftigung erzähle. Für mich ist klar, dass der Reitsport das auch ist: eine absolut anstrengende Sportart. Aber viele die mit Pferden nichts am Hut haben, verstehen das nicht. „Du sitzt ja nur da und lässt das Pferd die ganze Arbeit machen!“ Genau das Gegenteil ist allerdings der Fall.

1. Ein mittelgroßes Pferd sendet schon in der langsamsten Gangart, dem Schritt, 90-110 Schwingungsimpulse pro Minute aus, die der Reiter aufnimmt. Schlüsselpunkt hierfür ist das Becken, von wo aus die Schwingungen in Rumpf und Wirbelsäule übertragen werden und schließlich auch in die Gliedmaße und den Kopf gelangen. Im Endeffekt ist also der ganze Körper in Bewegung. Und das schon, wenn der Reiter passiv im Sattel „hängt“, was weder für den Reiter noch für das Pferd angenehm ist. Jeder, der schon Reitunterricht genommen hat, kennt die Befehle, mit denen Reitlehrer liebend gerne ihre Schüler quälen: „Schultern zurück“, „Aufrecht Sitzen“, Ellbogen an den Körper“, „Waden ans Pferd“, „Fersen nach unten“ und „Kinn hoch“ sind nur einige dieser Korrekturen. Da kommt man leicht ins Schwitzen, wenn man all diese Aufgaben erfüllt, noch bevor man Wendungen und Bahnfiguren reiten und noch bevor man überhaupt daran denken kann, zu traben oder galoppieren. 

2. Sitzen ist nicht anstrengend? Und wie anstrengend sitzen sein kann. Ich rede natürlich vom richtigen Sitzen inklusive tadelloser Körperspannung. Denn Körperspannung ist das A und O eines guten Reiters, und das erfordert eben auch einiges an Muskeln. Meine Nichtreiter-Freunde staunen oft über die Arm-, Bauch- und Beinmuskeln, die ich mir im letzten Jahr zugelegt habe. „Wie hast du so ein Sixpack bekommen?“, fragen sie oft neidisch. Meine Antwort ist immer gleich: durch das Reiten. Schließlich ist mein Bauch beim Reiten zirka eine Stunde lang angespannt und nicht nur mein Bauch, sondern alle anderen Muskeln ebenfalls. Besonders die Rückenmuskulatur wirkt durch das Reiten gestärkt, und reitet man häufig im Leichten Sitz, bekommt man auch richtig schöne, muskulöse Beine. Früher, als ich nur alle zwei Wochen das Vergnügen, reiten zu dürfen, hatte, hatte ich nach jedem Mal einen heftigen Muskelkater an den Beininnenseiten, den Schultern und Armen, auch ein Zeichen von sehr viel Muskeleinsatz.

3. Ja es stimmt, dass Reiten von unten und besonders für Laien leicht aussieht. Aber das ist eben das Ziel eines Reiters: die vielen Schenkel-, Gewichts- und Zügelhilfen sollen so minimal wie möglich zu sehen sein, was aber nicht heißt, dass sie nicht vorhanden sind. Je harmonischer Pferd und Reiter zusammenarbeiten, je feiner die Hilfen, desto besser. Manche Reiter plädieren darauf, dass Reiten kein Sport, sondern eine Kunst ist, die Kunst zwischen Anstrengung und Leichtigkeit. Aber wenn Leichtigkeit so viele Muskeln beansprucht und so viel Energie, muss es einfach Sport sein.

4. Außerdem erfordert Reiten auch eine große Denkarbeit, schließlich muss man sich auf viele Dinge gleichzeitig konzentrieren und sich somit auch geistig anstrengen. Wenn ich auf einem Pferd sitze, habe ich meistens gar keine Zeit, an Dinge wie „Was esse ich heute am Abend?“ zu denken, weil ich nicht nur an meinen korrekten Sitz, sondern auch daran, welche Übung ich jetzt mit meinem Pferd mache, welche Hilfen ich dazu geben muss, ob ich vielleicht auf ein anderes Pferd achten muss, dass die Anlehnung ans Pferdemaul nicht verloren geht und noch viele andere Dinge denken muss. Meine Freundin verglich die Konzentration beim Reiten einmal mit der beim Autofahren, und damals erschien mir das als passender Vergleich, aber seitdem ich selber autofahre, weiß ich, dass dabei nicht annähernd so viel Konzentration notwendig ist wie beim Reiten, noch dazu, da das Auto keinen eigenen Willen hat, während ein Pferd seinen ganz eigenen Kopf hat.

Reiten ist immer noch kein Sport? Bei einer besonders hartnäckigen und besserwisserischen Bekannten hat es mir nach wiederholten Sticheleien gegen meinen Lieblingssport gereicht und ich habe sie kurzerhand aufs Pferd gesetzt. Besagte Bekannte sagte nie wieder etwas Beleidigendes, hatte sie doch zwei Tage danach noch einen heftigen Muskelkater, und das obwohl sie nur eine halbe Stunde im Schritt und Trab an der Longe verbracht hat, ohne Galopp und ohne ihr Pferd selbstständig in der Halle lenken zu müssen.
Aber das Wichtigste und Beste am Reitsport ist, dass ein Pferd nicht einfach ein Rad oder ein Fußball ist, der nach dem Gebrauch in eine Ecke gestellt wird, das Pferd ist und bleibt ein Lebewesen, ein Freund, ein Partner.

Foto: George Dolgikh – Fotolia.com

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